HANDELS- UND GESELLSCHAFTSRECHT
24.02.2024
Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89 b HGB
Ein selbständiger Handelsvertreter hat jahrelang auf Provisionsbasis die Kunden eines Unternehmens betreut und (Kauf-)Verträge vermittelt. Nun aber ist das Vertragsverhältnis (Handelsvertreterverhältnis) beendet und der Handelsvertreter fragt sich, ob er für die Zukunft „leer ausgeht“, denn immerhin profitiert das Unternehmen doch von dem vom Handelsvertreter aufgebauten Kundenstamm auch in der Zukunft und macht mit den Kunden weiterhin Geschäfte.
Die Antwort lautet: Ja, er hat einen Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB.
Den Ausgleichsanspruch muss er innerhalb eines Jahres ab Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses schriftlich gegenüber dem Unternehmen geltend machen. Dazu genügt zunächst eine eher pauschale Geltendmachung. Eine Berechnung auf „Heller und Pfennig“ ist nicht erforderlich. Wenn aber das Unternehmen nicht zahlt, ist eben doch eine exakte Berechnung erforderlich, um diesen Anspruch vor Gericht einklagen zu können.
Ich will an dieser Stelle nicht auf die Feinheiten prozessualer Geltendmachung (Auskunftsanspruch, Stufenklage, Zahlungsklage eingehen, sondern mich auf die Grundsätze der Ermittlung des Ausgleichsanspruchs beschränken. Denn das allein ist schon kompliziert genug und verlangt dem Handelsvertreter einiges an Arbeit ab.
1. Unterscheidung Handelsvertreter / Vertragshändler
Vorab möchte ich ganz kurz auf die Unterscheidung Handelsvertreter und Vertragshändler eingehen, weil das gerne vermengt wird.
Ein Handelsvertreter vermittelt Vertragsschluss (in der Regel ein Kaufvertrag) zwischen Hersteller (= Unternehmen) und Käufer. Er schließt – wenn er sog. Abschlussvertreter ist) den Vertrag im fremden Namen (für das Unternehmen) für fremde Rechnung (für Rechnung des Unternehmens) ab und bezieht Provision vom Unternehmen.
Der Vertragshändler hingegen verkauft zwar auch Produkte des Herstellers. Er verkauft die Produkte aber im eigenen Namen und auf eigene Rechnung.
Die Unterscheidung ist wichtig.
Denn grundsätzlich erhält der Vertragshändler keinen Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB. Nur ausnahmsweise aber ist diese Regelung für den Vertragshändler entsprechend anzuwenden, wenn die Rechtsbeziehungen zwischen Hersteller und Vertragshändler über eine bloße Verkäufer-/Käuferbeziehung hinausgehen. Dies wäre dann der Fall, wenn der Vertragshändler mit vertretertypischen Rechten und Pflichten in die Absatzorganisation des Herstellers eingegliedert ist.
2. Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB
Der Anspruch auf Ausgleich setzt neben Unternehmervorteilen und Provisionsverlusten voraus, dass die Zahlung unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspricht.
a) Unternehmervorteil
Grundsätzliche Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch sind:
- Werbung neuer Kunden
- Wiederherstellung von Geschäftsbeziehungen
- Intensivierung von Altkunden
- Fortbestand der Geschäftsbeziehung mit dem Kunden
b) Provisionsverluste
Der Ausgleichsanspruch besteht für Provisionsverluste.
aa) Neukundengeschäft
Ausgleichsfähige Verluste des Handelsvertreters aus bereits abgeschlossenen bzw. künftig zustandekommenden Geschäften können nur dann eintreten, wenn es sich um Provisionen aus Geschäften mit neuen Kunden handelt. Gemeint sind hierbei Kunden, wie sie unter a) in den ersten drei Spiegelstrichen aufgeführt sind.
bb) Geschäfte nach § 89 b Abs. 1 Nr. 2 HGB
Es muss sich um Geschäfte nach § 89 b Abs. 1 Nr 2 HGB handeln. Das Gesetz unterscheidet hierbei zwischen bereits abgeschlossenen Geschäften einerseits und künftig zustandekommenden Geschäften andererseits.
cc) Umfang der Provisionsverluste
Im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung muss eine Prognose bezüglich der weiteren Entwicklung der vom Handelsvertreter hergestellten ausgleichspflichtigen neuen Geschäftsverbindungen durchgeführt werden. Hierbei muss unter Heranziehung der schon vor der Vertragsbeendigung bezüglich der Entwicklung dieser Geschäftsverbindungen gemachten Erfahrungen festgestellt werden, in welchem Umfang dem Handelsvertreter aus Folgegeschäften mit den bis zur Vertragsbeendigung geworbenen neuen Kunden ohne die Vertragsbeendigung weitere Provisionen zugeflossen wären, wenn das Vertragsverhältnis fortbestanden hätte.
Wichtig dabei ist, dass ausgleichsfähige Provisionsverluste infolge der Vertragsbeendigung nicht etwa nur dann anerkannt werden können, wenn die vom Handelsvertreter bis zur Vertragsbeendigung hergestellten neuen Geschäftsverbindungen automatisch ohne weiteres Zutun fortbestehen. Deshalb darf die so genannte Fortsetzungsfiktion nicht dahingehend eingeschränkt werden, dass nur ein Provisionsverlust aus solchen Geschäften berücksichtigungsfähig ist, deren Zustandekommen keine weitere Tätigkeit erfordert hätte. Allerdings darf bei der Prognose nicht gleichzeitig auch unterstellt werden, der Handelsvertreter könnte sodann im Rahmen dieser weiteren Tätigkeit auch weitere Neukunden werben. Da der Ausgleichsanspruch eine Vergütung für den bis zur Vertragsbeendigung geworbenen neuen Kundenstamm darstellt, muss deshalb eine weitere Vermittlungstätigkeit im Hinblick auf die weitere Werbung neuer Kunden außer Betracht bleiben.
Wichtig auch: standen dem Handelsvertreter schon während des noch bestehenden Handelsvertretervertrages für solche Geschäfte mit dem von ihm geworbenen Kunden grundsätzlich keine Provisionsansprüche zu, können sich auch infolge der Vertragsbeendigung keine Provisionsverluste geben. Denn der Handelsvertreter kann durch die Vertragsbeendigung nicht Provisionsansprüche verlieren, die ihm schon während des bestehenden Vertragsverhältnisses gar nicht zustanden.
Andererseits kann der infolge der Vertragsbeendigung eintretende Provisionsverlust aus künftig zustande kommenden Geschäften nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass infolge mangelhafter oder überhaupt ausbleibender Betreuung des hinterlassenen Kundenstamms durch den Unternehmer sich der Umsatz rückläufig entwickelt.
dd) Berechnung der Provisionsverluste
Die Provisionsverluste sind in der Weise zu berechnen, dass zunächst die mit dem Handelsvertreter in dem sog. Basisjahr, nämlich den letzten zwölf Monaten vor der Vertragsbeendigung, zugeflossenen Vermittlungs-bzw. Abschlussprovisionen aus Geschäften mit alten Kunden aus den von ihm insgesamt vereinnahmten Provisionen herausgerechnet werden, weil sich der Provisionsverlust allein aus Geschäften mit Neukunden ergibt.
Ist auf diese Weise ein für die Ermittlung der Provisionsverluste maßgeblicher Basisbetrag ermittelt worden, muss die Prognose auf einen überschaubaren und in seiner Entwicklung abschätzbaren Zeitraum beschränkt werden. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann die Verlustprognose über einen Zeitraum von maximal fünf Jahren ausgedient werden.
Im Rahmen der Verlustprognose muss versucht werden, ein möglichst wirklichkeitsnahes Bild der zukünftigen Geschäftsentwicklung zu ermitteln. Deshalb muss, wenn sich dafür aus der Zeit vor der Vertragsbeendigung Anhaltspunkte ergeben, auch eine Abwanderungsquote in Ansatz gebracht werden.
Ergibt sich nachträglich, dass die in Ansatz gebrachte Prognose der tatsächlich eingetretenen Entwicklung nicht entspricht, beeinflusst dies nicht nachträglich die Ausgleichsrechnung. Rückforderung-bzw. Nachforderungsansprüche sind ausgeschlossen.
ee) Abzinsung
Schließlich muss der Provisionsverlust noch einer Abzinsung unterworfen werden. Dies rechtfertigt sich daraus, dass der Provisionsverlust auf fiktiven Provisionseinnahmen beruht, die dem Handelsvertreter nach der Vertragsbeendigung bei unterstellter Fortsetzung innerhalb des Prognosezeitraums zugeflossen wären, während andererseits der Ausgleich bereits mit der Vertragsbeendigung als Zahlung fällig wird,
ff) Verlustminderung durch Kosteneinsparung
Kosteneinsparungen des Handelsvertreters infolge der Vertragsbeendigung werden für die Ermittlung des Provisionsverlustes nicht berücksichtigt.
c) Billigkeitsgrundsatz
Die Billigkeit stellt eine selbstständige und eigenständige Anspruchsvoraussetzung dar. Hierdurch soll verhindert werden, dass trotz besonderer Umstände dem Handelsvertreter ein unangemessen niedriger oder ein unangemessen hoher Ausgleich zufließt.
Billigkeitsgesichtspunkte können sein
- Unterstützende Werbemaßnahmen des Unternehmers
- Unzureichende Vermittlungserfolge des Handelsvertreters
- Umsatzrückgang durch Vernachlässigung des Altkundenstamms.
Nicht zu berücksichtigen sind:
- Höhe der Provisionseinnahmen
- Dauer der Vertretertätigkeit
- Kosteneinsparungen (Ausnahme bei außergewöhnlich hohen Kosten)
d) Höchstgrenze des Ausgleichsanspruchs
Der Ausgleichsanspruch ist der Höhe nach auf eine durchschnittliche Jahresprovision oder sonstige Vergütung, berechnet aus den Provisionszuflüssen der letzten fünf Jahre, begrenzt.
Bei der Ermittlung der Ausgleichshöchstgrenze sind sämtliche dem Handelsvertreter im Laufe des maßgeblichen Bezugszeitraums als Leistungsvergütung zugeflossen Provisionen ohne Rücksicht darauf, ob sich der Provisionssatz während des Bezugszeitraums änderte, zu berücksichtigen und - im Unterschied zur Ermittlung der Provisionsverluste - auch ohne Rücksicht darauf, ob die zugeflossen Provisionen sich auf Geschäfte mit übernommenen Altkunden oder mit selbst geworbenen Neukunden beziehen. Die Ausgleichshöchstgrenze ist auch nicht durch ersparte Kosten zu mindern.
Bei der Ermittlung der Höchstgrenze des Ausgleichsanspruchs sind auch Überhangprovisionen mit zu berücksichtigen, die dem Handelsvertreter erst nach der Vertragsbeendigung zufließen werden oder bereits zugeflossen sind. Denn es ist nicht auf den Zufluss während des Vertrages abzustellen, sondern nur darauf, dass jene Provisionen aufgrund der Tätigkeit des Handelsvertreters, wenn auch erst nach Vertragsbeendigung, zufließen.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Berechnung eines Ausgleichsanspruchs nach § 89 b HGB sehr aufwendig ist und dem Handelsvertreter einiges an detaillierten Informationen abverlangt, die er beizubringen hat. Für einen Handelsvertreter empfiehlt es sich daher, von Anfang an sehr akribisch Buch zu führen über seine Kundenkontakte und die mit den Kunden abgeschlossenen Geschäfte.