HANDELS- UND GESELLSCHAFTSRECHT
31.12.2023
Künftige EU-Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (CSDDD) noch schärfer als das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
Das am 01.01.2023 in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LKSG) dürfte betroffenen Unternehmen in Deutschland zwischenzeitlich geläufig sein. Ab dem 1. Januar 2024 gilt es bereits für Unternehmen mit mindestens 1.000 Arbeitnehmern und ihre Lieferanten. Das belieferte Unternehmen am Ende der Lieferkette muss seine Hauptverwaltung, Hauptniederlassung beziehungsweise seinen Verwaltungssitz oder satzungsmäßigen Sitz in Deutschland haben. Verkürzt gesagt legt es Sorgfaltspflichten der Unternehmen fest, um den Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards in den weltweiten Wertschöpfungsketten sicherstellen. Die Sorgfaltspflichten umfassen – bei Festlegung klarer Verantwortlichkeiten - u.a. die Durchführung einer Risikoanalyse, das Definieren von Präventionsmaßnahmen und Einrichten eines Beschwerdemechanismus sowie die regelmäßige Veröffentlichung eines Jahresberichts.
Nunmehr kommt auf europäischer Ebene noch die sog. EU-Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (CSDDD - Corporate Sustainability Due Diligence Directive) hinzu. Denn am 14. Dezember 2023 haben der Rat und das Europäische Parlament eine vorläufige politische Einigung hierüber erzielt, ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Verabschiedung der künftigen Richtlinie, auch wenn weiterhin viele wesentliche Punkte offen sind.
Der Anwendungsbereich der CSDDD wäre weitaus größer als der des LKSG.
Erfasst wären Unternehmen bereits mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem weltweiten Umsatz von über 150 Millionen €.
Allerdings sollen auch Unternehmen bereits mit mehr als 250 Mitarbeitern erfasst sein, wenn sie einen Umsatz von mehr als 40 Millionen € erzielen und mindestens 20 Millionen € hiervon in bestimmten Risikosektoren erzielt haben, beispielsweise Produktion und Großhandel von Textilien, Kleidung und Schuhen, Landwirtschaft und Fischerei, Lebensmittelherstellung, Gewinnung und Großhandel mit mineralischen Rohstoffen.
Dabei soll es keine Rolle spielen, ob die Unternehmen ihren Sitz in der EU haben, allerdings müssen die Umsätze in erheblicher Höhe auf EU-Märkten erzielt worden sein.
Ähnlich wie das LKSG soll die CSDDD die erfassten Unternehmen dazu verpflichten, Nachhaltigkeitsrisiken zu identifizieren, Maßnahmen zur Prävention zu ergreifen und etwaigen Schädigungen abzuhelfen. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Pariser Abkommen dem Klimawandel vereinbart sind.
Zur Durchsetzung der Pflichten sollen Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten Ermittlungen bei Unternehmen durchführen dürfen.
Die Aufsichtsbehörden dürfen Geldbußen in Höhe von 5 % des weltweiten Umsatzes (nach dem LKSG maximal 2 % des Jahresumsatzes) verhängen. Vorgesehen ist auch ein sogenanntes „naming and shaming“, also die öffentliche Bekanntmachung von sorgfaltswidrig handelnden Unternehmen. Wie auch schon das LKSG sieht die CSDDD vor, dass Unternehmen, die gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen, bei der öffentlichen Auftragsvergabe nicht berücksichtigt werden.
Ein wesentlicher Unterschied zum LKSG besteht darin, das Unternehmen bei Sorgfaltspflichtverletzungen auch zivilrechtlich haftbar sein sollen. Dies bedeutet, dass auch Privatpersonen oder lokal Geschädigte die Unternehmen am Ende der Lieferkette in Europa auf Schadensersatz verklagen können (sog. private enforcement).
Auch wenn die CSDDD von verschiedenen Seiten als „wichtiger Meilenstein“ angesehen wird, Menschenrechte in den Lieferketten zu achten, gibt es auch deutlich kritische Stimmen, die in der CSDDD nicht nur einen übermäßigen Bürokratieaufwand für Unternehmen und damit einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Firmen aus Drittstaaten sehen. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer bezeichnet das Vorhaben als den nächsten Sargnagel für die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Andere wiederum befürchten, dass sich Unternehmen aus Afrika zurückziehen könnten und ausländische Firmen beispielsweise aus China diese Lücke füllen könnten.
Wiederum andere sehen in der CSDDD eine Form der Bevormundung afrikanischer Staaten bis hin zum Vorwurf des Neo-Kolonialismus.
Die Diskussion hierüber hat erst begonnen und man wird sehen, welche Hoffnungen und Befürchtungen mit der CSDDD sich erfüllen oder bestätigen werden. Interessant wäre, diese Diskussion nicht nur aus europäischer Sicht, sondern auch aus Sicht der betroffenen Staaten zu führen.
Nachtrag vom 01.02.2024: Die FDP (mit ihren Ministerien Finanzen und Justiz) verweigert ihre Zustimmung zum CSDDD. Die FDP begründet ihre Haltung mit einer Überforderung der deutschen Wirtschaft. Dies bedeutet, dass sich Deutschland im EU-Ministerrat der Stimme enthalten muss. Dies wiederum kann bedeuten, dass der CSDDD nicht in Kraft treten kann.
Nachtrag vom 29.02.2024: Am 28.02.2024 stand der CSDDD zur Abstimmung im Ministerrat. Der belgische Ratsvorsitzende nahm die Abstimmung allerdings von der Tagesordnung, nachdem sich abgezeichnet hat, dass der CSDDD im Rat nicht die erforderliche Mehrheit finden wird. Abstimmungen im Rat werden mit einer qualifizierten Mehrheit getroffen. Nötig ist dafür ein Ja von 15 der 27 EU-Staaten, die zudem mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Eine Enthaltung gilt daher faktisch als Nein. Neben Deutschland und Italien würden auch eine Reihe weiterer EU-Staaten der Richtlinie nicht zustimmen.
Anders als die in den Medien und von Unternehmerseite dargestellt wird, ist das aber nicht das Ende der CSDDD. Die Absetzung von der Tagesordnung dürfte der belgische Ratsvorsitzende dafür nutzen, eine Mehrheit zu organisieren. Wie das läuft, sollte jedem Interessierten klar sein. Man muss nur Italien als Schwergewicht auf seine Seite bringen, beispielsweise durch Versprechungen an anderer Stelle. Dazu noch die ein oder andere Modifikation und schon dürfte die Mehrheit beim nächsten Abstimmungstermin stehen. Wir werden sehen!
Nachtrag vom 18.03.2024: Nun also doch. Am Freitag wurde der Weg für die EU-Lieferkettenverordnung doch noch frei. Mit Mehrheit nahmen die EU-Botschafter die Verordnung an. Zwar enthielt sich Deutschland weiterhin der Stimme, aber Italien stimmte schließlich zu, sodass die Mehrheit erreicht war.
Wie vermutet, wurde die Mehrheit durch ein sog. Koppelungsgeschäft erreicht. Italien wurden Zugeständnisse bei der EU-Verpackungsverordnung gemacht, im Gegenzug stimmt Italien für die EU-Lieferkettenverordnung, nachdem auch diese nochmals „abgeschwächt“ worden war.
Anders als ursprünglich vorgesehen sind nicht mehr Unternehmen ab 500 Mitarbeiter und einem Umsatz von mehr als 150 Mio € betroffen, sondern nur noch Unternehmen ab 1000 Mitarbeiter und einem Umsatz von mehr als 450 Mio Euro. Diese Schwellen gelten nach einer Übergangsfrist von 5 Jahren. Auch die für Hochrisikosektoren wie Textil oder Förderung von Rohstoffen vorgesehenen noch niedrigeren Schwellenwerte entfallen.
Die Anzahl der deutschen Unternehmen, die unter die Richtlinie fallen, ist damit geringer als beim deutschen Lieferkettengesetz. Deutschland muss also sein nationales Lieferkettengesetz entsprechend anpassen.
Anders als nach dem deutschen Lieferkettengesetz müssen die Unternehmen aber ihre gesamte Lieferkette – also auch die Zulieferer der Zulieferer und deren Zulieferer – auf Verstöße gegen die Menschen- und Arbeitsrechte und den Umweltschutz prüfen. Auch die Kontrolle von Umweltverstößen ist verglichen ist strenger als nach dem deutschen Lieferkettengesetz.
Allerdings wird die Kontrollbelastung dadurch gemindert, dass hierfür ein risikobasierter Ansatz gilt. Sitzt ein Zulieferer etwa in Belgien, ist faktisch keine Prüfung nötig, anders sieht das bei einem Zulieferer aus dem Kongo aus.
Auch werden nun nur noch Kontrollpflichten bei der Abfallentsorgung direkter Abnehmer vorgesehen, eine komplette Kontrolle „Downstream“ ist nicht mehr vorgesehen.
Die auch im ursprünglichen Entwurf bereits vorgesehene umfassende zivilrechtliche Haftung der Unternehmen, also die Möglichkeit von Opfern von Verstößen gegen Menschenrechte oder Umweltschutzauflagen zu klagen, bleibt bestehen. Allerdings gilt – für Unternehmen, die in Deutschland ansässig sind, nun das deutsche Schadenersatzrecht und nicht mehr das des Landes, in dem der Verstoß geschieht. Auch sollen Unternehmen nur dann haften, wenn sie ihre Pflichten zur Kontrolle der Lieferketten vorsätzlich oder fahrlässig vernachlässigt haben. Klagen können nach dem belgischen Kompromiss auch Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen, aber nur wenn sie das direkt im Namen von Opfern tun.
Die Einigung muss nun noch vom Ministerrat angenommen werden. Das wird vermutlich auf einem der nächsten Treffen geschehen. Zudem muss auch noch das Europaparlament zustimmen, was aber ebenfalls zu erwarten ist.