Arbeitsrecht
10.05.2022
Verjährt nicht genommener Jahresurlaub?
Kann nicht genommener Jahresurlaub verjähren? Über diese Frage muss der Europäische Gerichtshof entscheiden. Was steckt dahinter? In der „guten alten Zeit“ war es so, dass Urlaub, der nicht genommen wird spätestens mit Überschreitung des Übertragungszeitraums (in der Regel der 31.03.) verfällt, also erlischt. 2018 hatte der Europäische Gerichtshof aber entschieden, dass all das nicht gilt, wenn der Arbeitgeber die/den Arbeitnehmer(in) nicht rechtzeitig vorher auf den drohenden Verfall des Urlaubs hingewiesen hatte. Und nun kommt noch etwas dazu, was in der Praxis eher selten vorkommt, nämlich die Frage, ob ein Urlaubsanspruch auch verjähren kann. Was hat es damit auf sich? Nach deutschem Recht können Ansprüche verjähren. In aller Regel verjähren Ansprüche innerhalb der Regelfrist von 3 Jahren. Einzelheiten dazu will ich an dieser Stelle nicht erläutern. Um jetzt das Ganze zu verstehen, muss man unterscheiden zwischen
Ein Anspruch, der verfällt erlischt. Er ist nicht mehr existent und kann damit nicht mehr geltend gemacht werden. Solche Verfallsregeln finden sich in Gesetzen, in Tarifverträgen und in Arbeitsverträgen. Meist sind solche Verfallfristen ziemlich kurz. Bei der Verjährung hingegen ist es so, dass ein Anspruch nicht erlischt. Er kann also vom Anspruchsinhaber noch geltend gemacht werden. Allerdings kann sich der Schuldner auf die Verjährung berufen. Der Jurist spricht von der Einrede der Verjährung. Das muss er dann aber explizit vor Gericht machen. In so einem Fall kann der (bestehende) Anspruch vor Gericht nicht mehr durchgesetzt werden. Beruft sich der Schuldner aber nicht ausdrücklich auf die Verjährung, kann das Gericht den geltend gemachten Anspruch zusprechen; das auch dann, wenn es selbst weiß, dass der Anspruch bereits verjährt ist. Denn die Verjährungsreinrede kann nur vom Schuldner selbst erhoben werden. Damit bin ich wieder bei der Frage, ob nicht genommener Urlaub nach Ablauf Regelfrist von 3 Jahren verjähren kann. Diese Frage stellt sich logischerweise nur dann, wenn der Urlaubsanspruch nicht schon vorher verfallen ist. Der Nichtjurist stellt sich jetzt die Frage, wie das sein kann. Antwort: Das kann sein. Wenn nämlich der Arbeitgeber den/die Arbeitnehmer(in) nicht schon auf den drohenden Verfall des Urlaubs im Übertragungszeitraum hingewiesen hatte (genau genommen er auf gar nichts hingewiesen hatte). Dann ist er zwar nicht verfallen, könnte aber nach so langer Zeit (3 Jahre) verjährt sein. In der Praxis sind das solche Fälle, in denen die/der Arbeitnehmer(in) lange Zeit erkrankt war. Denn nach der Rechtsprechung kann Urlaub, den ein(e) Arbeitnehmer(in) wegen Krankheit nicht nehmen kann, nicht verfallen. Dann aber stellt sich die Frage, ob er wenigstens nach 3 Jahren verjähren kann. Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof meint dazu in seinen Schlussanträgen vom 05.05.2022, Rs- C-120/21, dass ein Urlaubsanspruch zwar verjähren kann, die Verjährungsfrist aber erst zu laufen beginnt, wenn der Arbeitgeber die/den Arbeitnehmer(in) auf die Verjährung ausdrücklich hingewiesen hat. Ohne Hinweis auch keine Verjährung. Das Ganze soll also genauso laufen wie beim Verfall/Erlöschen eines Urlaubsanspruchs. Der Europäische Gerichtshof hat dazu zwar noch keine Entscheidung getroffen, hält sich in aller Regel aber an das Votum des Generalanwalts (Ausnahme bei der Mautentscheidung, die Herrn Scheuer dann zum Verhängnis wurde). Dennoch: Warten wir ab. Ich selbst wäre der Gekniffene, wenn der Europäische Gerichtshof dem Generalanwalt folgen würde, weil ich in einem vergleichbaren Fall für den Arbeitgeber die Verjährungseinrede erhoben habe und dieser Rechtsstreit bis zur Entscheidung durch den Europäischen Gerichtshof ausgesetzt („unterbrochen“) worden ist. Nachtrag: Am 22.09.2022 hat der Europäische Gerichtshof sein Urteil gesprochen. Er ist dem Votum des Generalanwalts gefolgt: Danach verjähren Urlaubsansprüche nur, wenn der Arbeitnehmer zuvor über die mögliche Verjährung des Urlaubsanspruch unterrichtet wurde. Gerhard Greiner
Rechtsanwalt
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