Arbeitsrecht
01.03.2022
Massenentlassungsverfahren: Ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit keine Abschrift über die Einleitung des Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat zuleitet?
Das bei einer Massenentlassung vom Arbeitgeber zu beachtende Verfahren gemäß § 17 Kündigungsschutzgesetz ist ein „Minenfeld“, bei dem viele formale Fehler gemacht werden können. Genau genommen ist es kaum noch möglich hier keine formalen Fehler mehr zu machen. Dies liegt auch daran, dass das Bundesarbeitsgericht die Unterrichtungs- und Informationspflichten gegenüber der Agentur für Arbeit nicht nur als „lockere“ Verpflichtungen allein gegenüber der Agentur für Arbeit ansieht, sondern es in diesen Regelungen auch eine arbeitnehmerschützende Wirkung sieht. Dies bedeutet, dass ein Verstoß gegen die formalen Anforderungen des Massenentlassungsverfahrens die Unwirksamkeit einer später ausgesprochenen Kündigung zur Folge hat.
Das Bundesarbeitsgericht hat nun in einem Beschluss vom 27.01.2022, Az. 6 AZR 155/21 (A), dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob § 17 Abs. 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz ebenso wie andere, den Arbeitnehmerschutz bezweckende Vorschriften im Massenentlassungsverfahren als Verbotsgesetz gemäß § 134 BGB anzusehen ist.
Worum geht es dabei?
Nach § 17 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz hat der Arbeitgeber im Falle einer beabsichtigten Massenentlassung dem Betriebsrat rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich zu unterrichten über
- Die Gründe für die geplanten Entlassungen
- die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer
- die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer
- den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen,
- die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenen Arbeitnehmer
- die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien.
Nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz hat der Arbeitgeber gleichzeitig der Agentur für Arbeit eine Abschrift diese Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten.
Und darum geht es nun. Im konkreten Fall hatte der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit eine solche Abschrift nicht zugeleitet. Die Frage ist nun, ob dieses Versäumnis bereits die Unwirksamkeit der daraufhin ausgesprochenen Kündigungen zur Folge hat.
Das wäre dann der Fall, wenn der Europäische Gerichtshof in § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG eine arbeitnehmerschützende Regelung sehen würde. Im Ergebnis würde dies bedeuten, dass das Massenentlassungsverfahren ein ganzes Stück weit noch fehleranfälliger wäre.
Was im Rahmen dieses Beschlusses nicht zur Sprache kommt: Es gibt außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes die wenig bekannte Regelung des § 2 Abs. 3 Nr. 4 SGB III. Hiernach hat der Arbeitgeber die Agenturen für Arbeit frühzeitig über betriebliche Veränderungen, die Auswirkungen auf die Beschäftigung haben können, zu unterrichten. Die Frage ist, ob ein Verstoß des Arbeitgebers hiergegen ebenfalls die Unwirksamkeit einer später im Massenentlassungsverfahren ausgesprochenen Kündigung Erfolge hat.