SONSTIGES

09.04.2021

Die sog. „rupture brutale“, eine Besonderheit des französischen Rechts, mit weitreichenden Auswirkungen für länger bestehende Geschäftsbeziehungen.

Das französische Handelsrecht kennt eine Besonderheit, die deutschen Unternehmen eher fremd ist, nämlich die sog. „rupture brutale“. Es handelt sich hierbei um den „plötzlichen Abbruch einer länger bestehenden Geschäftsbeziehung zweier Geschäftspartner/ Unternehmen mit zu kurzer Kündigungsfrist.

Wenn nämlich eine Vertragsseite eine länger bestehende Geschäftsbeziehung (z.B. Vertriebsvertrag, Liefervertrag etc.) kündigt, hat sie nach französischem Recht nicht nur die im Vertrag ursprünglich vereinbarte Kündigungsfrist zu beachten, sondern auch eine oftmals darüber hinausgehende, längere Kündigungsfrist, die auf die Dauer der Geschäftsbeziehung abstellt. Dies ist durch das französische Handelsrecht so vorgegeben, Article L442-1 Code de commerce.

Im Streitfall hat ein französisches Gericht diese Frist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu bestimmen. Erfahrungsgemäß orientieren sich die Gerichte an einem Monat Kündigungsfrist pro Jahr der Geschäftsbeziehung, begrenzt auf 18 Monate.

Damit soll derjenigen Vertragsseite, der gekündigt wird, die nötige Zeit geben, sich neu zu organisieren, wenn sie berechtigterweise davon ausgehen konnte, dass das Vertragsverhältnis fortbestehen würde.

Diejenige Vertragsseite, die eine länger bestehende Geschäftsbeziehung kündigen möchte, sollte also nicht nur die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist beachten, sondern auch diese möglicherweise längere (vom Handelsrecht vorgegebene) Kündigungsfrist. Zweckmäßigerweise ist ihr anzuraten, von vornherein hierüber einen Konsens mit der anderen Vertragsseite zu finden.

Setzt sich aber die kündigende Vertragsseite darüber hinweg, kann sie von der gekündigten Vertragsseite vor einem französischen Gericht auf Zahlung von Schadenersatz in Höhe des Bruttogewinns verklagt werden, der ihr entgangen ist, weil die längere Kündigungsfrist nicht eingehalten wurde.

Deutschen Unternehmen ist das oft nicht bekannt. Sie blicken in den Vertrag und berücksichtigen allein die vertraglich vereinbarte (oft kürzere) Kündigungsfrist und übersehen dabei die häufig längere Kündigungsfrist aufgrund der handelsrechtlichen Vorgaben des französischen Rechts.

Gilt also in der Vertragsbeziehung französisches Recht und ist möglicherweise ein französisches Gericht zur Entscheidung zuständig, kann das für ein deutsches Unternehmen, das eine solche langandauernde Geschäftsbeziehung mit einem französischen Unternehmen „vorzeitig“ kündigt, zu „bösen Überraschungen“ führen. Aber selbst dann, wenn zwischen den Vertragsparteien die Anwendung französischen Rechts nicht vereinbart sein sollte, ist nicht auszuschließen, dass im Falle eines Rechtsstreits vor einem französischen Gericht, dieses die längere Kündigungsfrist als zwingende Bestimmung ansieht, die nicht ausgeschlossenen werden kann.

Vor diesem Hintergrund ist dem deutschen Unternehmen anzuraten, die Rechtsprechung französischer Gerichte zur sog. „Rupture brutale“ zu beachten. Unter bestimmten Voraussetzungen wäre zu überlegen, schon bei Vertragsabschluss die Anwendung deutschen Rechts und einen deutschen Gerichtsstand zu vereinbaren.

 

Benoît Laurin

Avocat au Barreau de Paris