SONSTIGES

28.12.2024

Die Kunst, einen Schriftsatz zu verfassen - eine Herausforderung für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte

Ich bin seit etwa 30 Jahren als Rechtsanwalt tätig und habe in dieser Zeit „unzählige“ Schriftsätze gelesen und selbst verfasst. Dabei sind mir viele schlechte, aber auch viele hervorragende Schriftsätze begegnet. Mit der Zeit habe ich gelernt, worauf es bei einem überzeugenden Schriftsatz wirklich ankommt - und welche Fehler man unbedingt vermeiden sollte. Ein klar strukturierter und inhaltlich überzeugender Schriftsatz ist das Herzstück der anwaltlichen Tätigkeit, erfordert aber ein hohes Maß an Präzision und Stilsicherheit. Im Folgenden möchte ich auf einige wesentliche Aspekte eingehen, die bei der Abfassung eines Schriftsatzes zu beachten sind.

Schriftsätze werden für das Gericht geschrieben

Schriftsätze werden in erster Linie für das Gericht geschrieben. Denn das Gericht entscheidet über den Fall und ist daher zu überzeugen. Ziel ist es, dem Gericht eine klare und nachvollziehbare Darstellung zu bieten, die es ihm ermöglicht, den Sachverhalt und die rechtlichen Argumente schnell zu erfassen und zu verstehen. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass Schriftsätze übersichtlich, strukturiert, verständlich und überzeugend aufgebaut und formuliert sind.

Strikte Trennung von Sachverhalt und Rechtsausführungen

Ein Schriftsatz muss einem klaren und logischen Aufbau folgen. Zunächst sollte in einem ersten Teil der Sachverhalt präzise dargestellt werden, gefolgt in einem zweiten Teil von der rechtlichen Würdigung und den sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen. Die Vermischung dieser beiden Elemente innerhalb eines Satzes, Absatzes oder eines Kapitels kann den Leser verwirren oder irritieren. Für das Gericht muss klar erkennbar sein, was Sachverhalt und was rechtliche Würdigung ist.

Überschriften bilden - Orientierung geben

Eine klare Gliederung mit aussagekräftigen Überschriften erleichtert dem Leser die Orientierung im Text. Jede Überschrift sollte den Inhalt des folgenden Abschnitts prägnant zusammenfassen und das Interesse des Lesers wecken. Beispiel: „Der Kläger hat vollständig und ordnungsgemäß geleistet“ oder „Die Ware war mangelfrei“ oder „Der Beklagte hat verspätet reagiert“. So entsteht ein Text, der nicht nur inhaltlich strukturiert, sondern auch optisch ansprechend ist.

Möglichst genaue Darstellung des Sachverhalts - Tatsachen statt Meinungen

Eine präzise und vollständige Darstellung des Sachverhalts ist die Grundlage jedes Schriftsatzes. Ungenaue oder unvollständige Tatsachen schwächen die Argumentation und können leicht angegriffen werden. Fakten sollten klar von Meinungen getrennt werden. Je detaillierter der Sachverhalt geschildert wird, desto besser kann darauf aufbauend argumentiert werden und desto leichter fällt es dem Gericht, der Argumentation zu folgen und zu einer eigenen rechtlichen Beurteilung zu gelangen.

Beweise vorlegen - Argumente untermauern

Ein Schriftsatz ist nur so stark wie die Beweise, auf die er sich stützt. Geeignete Beweismittel wie Urkunden, Zeugenaussagen oder Sachverständigengutachten sollten stets ausdrücklich benannt und schlüssig mit den Argumenten verknüpft werden. Ein durchdachter Einsatz von Beweismitteln erhöht die Glaubwürdigkeit und schafft eine solide Grundlage für die rechtliche Beurteilung.

Rechtsausführungen auf das Wesentliche beschränken

Rechtsausführungen sollten keine Selbstverständlichkeiten wiederholen, sondern sich auf die wesentlichen Streitpunkte konzentrieren. Es ist wichtig, sich auf prägnante und relevante rechtliche Argumente zu beschränken, anstatt den Schriftsatz mit unnötigen Wiederholungen oder Allgemeinplätzen zu überfrachten. Ein besonderes Ärgernis nach meinem Empfinden sind Schriftsätze, in denen Rechtsausführungen mit Textbausteinen und ellenlangen Zitaten aus Urteilstexten überfrachtet sind. Wer so schreibt, erweckt den Eindruck, keine eigenen Argumente zu haben und sich fremder Kompetenz zu bedienen.

Auf die Argumente der Gegenseite eingehen und sie widerlegen

Ein guter Schriftsatz ignoriert die Argumente der Gegenseite nicht, sondern setzt sich aktiv mit ihnen auseinander. Diese Argumente sollten klar benannt, präzise analysiert und überzeugend widerlegt werden. Dabei hilft es, die Schwächen der gegnerischen Argumentation gezielt aufzudecken und durch stichhaltige Gegenargumente zu entkräften.

Klare Sprache - weniger ist mehr

Juristensprache gilt oft als verschachtelt und schwer verständlich. Da ist einiges dran. Ein Schriftsatz sollte jedoch immer so formuliert sein, dass er auch für Laien verständlich bleibt. Lange Schachtelsätze und übermäßige Fachterminologie sollten auf ein Minimum reduziert werden. Sie sind beileibe nicht Ausdruck juristischer Kompetenz, sondern auch von Unsicherheit, die sich hinter „juristischem Gehabe versteckt. Ein verständlicher und präziser Schreibstil hingegen macht die Argumentation verständlicher und überzeugender; er ist auch souveräner.

Keine Substantivierungen - Klarheit durch Verben

Substantivierungen machen Texte schwerfällig und unübersichtlich. Statt "Der Kläger hat den Antrag gestellt" sollte der Satz lauten "Der Kläger hat beantragt". Verben verleihen einem Satz Dynamik und Lebendigkeit. Sie machen den Text lesbarer und zugänglicher.

Keine Passivformulierungen - Verantwortung sichtbar machen

Der Passivstil ist ein unausrottbares „Un-Stilmittel“ in anwaltlichen Schriftsätzen. Er beschreibt eine Satzstruktur, bei der die Handlung im Vordergrund steht, während die handelnde Person in den Hintergrund tritt oder gar nicht erwähnt wird.

Beispiel: „Es wurde vereinbart, dass...“ oder „ein Produkt wird entwickelt“

Ein Passivstil drückt fehlende Identifikation und Distanzierung des Verfassers mit dem Geschriebenen aus. Die hinter der Handlung stehenden Personen werden nicht direkt mit der Aussage in Zusammenhang gebracht. Ich persönlich frage mich dann immer, wer dieses ominöse „Es“ denn ist. Damit verschleiert der Rechtsanwalt die Verantwortung seines Mandanten oder auch seine eigene Verantwortung für eine Handlung, ein Geschehen oder eine Aussage. Er gibt damit auch zu erkennen, nicht hinter seiner Aussage und – noch schlimmer – nicht hinter seinem Mandanten zu stehen. Wichtig ist es daher, möglichst aktiv und lebendig zu formulieren, klar zu benennen, wer wofür steht und verantwortlich ist. Dies verleiht der Aussage Nachdruck und wirkt aufrichtig.

Keine verstärkenden Formulierungen; sie bewirken das Gegenteil

Formulierungen wie „das ist offensichtlich“, „das ist klar“ oder „das bedarf keiner Erläuterung“ bewirken oft das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung und lassen Zweifel an der Argumentation aufkommen. Was angeblich „offensichtlich“ ist, ist eben nicht offensichtlich. Solche Formulierungen sind daher zu vermeiden.

Empörung und übertriebene Emotionen sind unprofessionell

Ein Schriftsatz sollte sachlich bleiben. Emotionale Ausbrüche oder empörte Formulierungen mindern die Professionalität und lenken vom Kern der Argumentation ab. Zu glauben, ein Gericht würde Gefühle und Empörung aufgreifen und sich darauf einlassen, ist eine Illusion, denn genau das macht es nicht.

Wiederholungen sind überflüssig und ermüdend

Wenn Selbstverständlichkeiten betont oder irrelevante Details ausgeführt werden, leidet die Prägnanz. Gleiches gilt für die Wiederholung von Argumenten, die an anderer Stelle schon einmal (vielleicht auch mit etwas anderen Worten) gebracht sind. Beim Leser erweckt dies den Eindruck, dass sich der Anwalt verzettelt und er seiner eigenen Argumentation nicht vertraut oder er dem Gericht nicht zutraut, ihn zu verstehen. Solche Wiederholungen sind ermüdend und können auch dazu führen, dass das Gericht einen inneren Widerwillen beim Lesen entwickelt.

Lebendig und pointiert schreiben - Aufmerksamkeit sichern

Und schließlich: Ein Schriftsatz soll nicht nur informieren, sondern auch überzeugen. Eine lebendige Sprache mit treffenden Beispielen und klaren Argumenten sichert die Aufmerksamkeit des Gerichts. Pointierte Formulierungen und der gezielte Einsatz rhetorischer Mittel helfen, die Argumentation eindrucksvoll zu gestalten. Dabei sollte jedoch immer darauf geachtet werden, dass der Text nicht in unnötige Empörung und Polemik abgleitet.

Fazit

Das Verfassen eines Schriftsatzes ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die sowohl sprachliches Feingefühl als auch juristische Kompetenz erfordert. Mit einer klaren Struktur, präzisen Formulierungen und einer lebendigen Sprache gelingt es aber, einen Schriftsatz zu erstellen, der überzeugt und mit Interesse gelesen wird.

 

Gerhard Greiner
Rechtsanwalt